Schnellschuss Digitale Dividende 2

01.07.2013

Übereilte Auktion von Funkfrequenzen bedroht Kulturwirtschaft und Gemeininteressen massiv.


Rundfunkproduktionen, Events in Kunst, Kultur und dem Kreativbereich sowie eine vielfältige Liveberichterstattung der Presse etwa bei Wahlen oder sportlichen Großereignissen haben eines gemeinsam: Sie sind auf funktionierende drahtlose Produktionsmittel und freie Frequenzen grundlegend angewiesen.

Mit ihrem aktuell vorgelegten Konsultationsentwurf gefährdet die Bundesnetzagentur die Zukunft der Technik und ihrer Anwendungsfelder. Vorgesehen ist eine Versteigerung unter anderem der Frequenzen 694 - 790 MHz an den Mobilfunk.

Das Dokument stammt aus der Präsidentenkammer, ist bereits vom Beirat verabschiedet und befindet sich in Umsetzung. Die Kultur- und Kreativbranche, einer der bedeutendsten Wirtschaftszweige in Deutschland, ist damit massiv bedroht. Weiter sind tragende Grundprinzipien unserer Gesellschaft in Frage gestellt, namentlich die Meinungs- und Pressefreiheit sowie kulturelle Vielfalt und Teilhabe.

Zahlreiche Beschlüsse des Bundesrates gegen eine solche "Digitale Dividende 2" werden ignoriert. Ebenso bleiben mehrfach vorgetragene, wesentliche Sachargumente der Nutzer und Hersteller drahtloser Produktionsmittel unberücksichtigt. Signifikante Falschannahmen lassen zudem auf gefährliche Kompetenzdefizite in der Leitungsebene der Behörde schließen.

Sollte die Bundesnetzagentur die Frequenzversteigerung wie geplant umsetzen, sind die Folgen für drahtlose Produktionsmittel und alle gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Anwendungsbereiche nicht mehr absehbar. Wenn etwa für die Live-Berichterstattung von sportlichen Großereignissen von Landtags- oder Bundestagswahlen nicht mehr genügend Frequenzen zur Verfügung stehen, bedeutet dies eine empfindliche Einschränkung der Meinungsvielfalt und Pressefreiheit.

 


Funkfrequenzen sind wie Straßen: Wenn sie weg sind, sind sie weg.


 

Einige Events, wie etwa Konzerte, Musicals oder aufwändige Fernsehshows werden ohne einsetzbare Drahtlostechnik in der gewohnten Form nicht mehr durchführbar sein. Der Kultur- und Kreativwirtschaft drohen massive Einbußen.

 

Laut Monitoringbericht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie zählt die Kultur- und Kreativwirtschaft zu den bedeutendsten Wirtschaftszweigen Deutschlands: Wertschöpfung und Anzahl der Beschäftigten liegen auf dem Niveau der klassischen Branchen Maschinenbau und Automobilindustrie.

"Besonders pikant ist beispielsweise, dass die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Austragungsort für große Veranstaltungen wie Weltmeisterschaften und Olympische Spiele in Frage gestellt sein wird, wenn nicht mehr genügend Frequenzressourcen für die Austragung vorhanden sind", so Matthias Fehr, Präsident der APWPT.

 

Er kämpft seit Jahren für freie Funkfrequenzen: Matthias Fehr.
Er kämpft seit Jahren für die letzten freien Funkfrequenzen: Matthias Fehr.




"Die derzeitige Technik muss erneuert oder auf andere Frequenzbereiche umgerüstet werden.
Für alle Anwender entstehen so wiederholt erhebliche Kosten. Im Rahmen der ersten Digitalen Dividende im Jahr 2010 waren bereits etwa 700.000 Systeme betroffen", so Fehr weiter. "Für viele Theater und kleine kulturelle Einrichtungen ist der hohe finanzielle Aufwand nicht tragbar. Gehen sie dabei wirtschaftlich zugrunde, sind kulturelle Vielfalt und Teilhabe gefährdet."

Wohin die Masse der Nutzer nach einer Räumung der Frequenzen 694 bis 790 MHz ausweichen soll, ist derzeit vollkommen unklar. In einem zusammen mit dem Konsultationsentwurf veröffentlichten Strategiepapier geht die Leitung der Bundesnetzagentur davon aus, dass nach dem Verlust des Funkspektrums 694 bis 790 MHz insgesamt noch über 440 MHz Bandbreite in anderen Frequenzlagen für drahtlose Mikrofone verfügbar sind. Dies ist sachlich falsch – wegen anderweitiger Verwendung oder Störungen sind viele der aufgezählten Frequenzbereiche de facto nicht nutzbar.

Das verbleibende UHF-Spektrum 470 bis 790 MHz wird regional extrem eng mit digitalen TV-Sendern (DVB-T) belegt sein, so dass kaum noch Lücken für drahtlose Mikrofone übrig bleiben.

Bislang hat die Bundesnetzagentur kein Konzept zur Deckung des Frequenzbedarfs drahtloser Produktionsmittel vorgelegt – trotz steigender Verkaufszahlen. Eine der wenigen Ausweichmöglichkeiten, das L-Band (1.452 - 1.477,5 MHz), soll laut Strategiepapier nun überraschend ebenfalls dem Mobilfunk zugewiesen werden. Hersteller, sowie die Kultur- und Kreativbereich haben so keinerlei Planungs- und Investitionssicherheit, Millionen an bereits getätigten Investitionen in marktreif entwickelte Technik für das L-Band sind verloren. Wegen der besonderen physikalischen Eigenschaften des Spektrums gibt es keine gleichwertige Alternative, was ebenfalls keine Beachtung findet. Dringend muss auch auf lange Sicht ein ausreichender und störungsarmer Teil des UHF-Spektrums für drahtlose Mikrofone erhalten bleiben.
 

Der politische Hintergrund

Mit der Versteigerung der Frequenzen 694 - 790 MHz an den Mobilfunk, der so genannten "Digitale Dividende 2", will die Bundesnetzagentur den Ausbau von mobilem Breitband weiter fördern. Sie begründet dies mit der Breitbandstrategie der Bundesregierung, die eine flächendeckende Versorgung der deutschen Bevölkerung mit mindestens 50 MBit/s bis 2018 anstrebt.

Ob mobiles Breitband in Form des neuen Mobilfunkstandards LTE (Long Term Evolution) allerdings tatsächlich einen signifikanten Beitrag zur Erreichung der Breitbandziele der Bundesregierung leisten kann, ist umstritten. Experten gehen häufig davon aus, dass der Ausbau von Glasfaser und Kabel hierfür weit besser geeignet ist.



Derzeit werden die Frequenzen 694 MHz - 790 MHz intensiv für die Rundfunkdistribution (DBV-T) und für drahtlose Produktionsmittel genutzt. Der Bundesrat hat sich aus diesem Grund in mehreren Beschlüssen konsequent gegen eine Vergabe an den Mobilfunk ausgesprochen. Die Rundfunkkommission der Länder und das Bundeswirtschaftsministerium haben eine gemischte Bund/Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet, die die Möglichkeiten einer Konvergenz von Mobilfunk- und Rundfunksystemen im Frequenzbereich 694 MHz - 790 MHz prüfen und ihre Ergebnisse bis Jahresende vorlegen soll.

Ohne die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe abzuwarten, hat die Bundesnetzagentur nun bereits einen Konsultationsprozess aufgesetzt und strebt dessen Abschluss bis zum 4. Oktober 2013 an. Dies widerspricht den bisher getroffenen Regelungen und Vereinbarungen.
 

Der Berufsverband für professionelle drahtlose Produktionstechnologie (Association of Professional Wireless Production Technologies, APWPT) vertritt die Interessen der Hersteller und Nutzer drahtloser Funksysteme. Er setzt sich auf nationaler und internationaler Ebene für den Erhalt der für diese Technik benötigten Frequenzen ein.     

Zurzeit vertritt der APWPT Verbände mit rund 25.000 Mitgliedern und weitere Organisationen aus Europa und darüber hinaus. Durch die konsequente Vernetzung von internationalen Experten aus Applikation, Standardisierung, Regulierung, Produktentwicklung, Wissenschaft und Lobbyarbeit wird ein Höchstmaß an Sachkompetenz angestrebt.

 

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