Audi Jubiläumskonzert 2015

Kent Nagano dirigiert das London Symphony Orchestra in der Audi Werkhalle N58. Die Konzertmuschel: Virtuell. Der Sound: Aus dem Lautsprecher.


 

Rund 40.000 Menschen arbeiten auf dem Audi-Werksgelände in Ingolstadt. In drei Schichten bauen sie jeden Tag 2.500 neue Autos. Sie und die Maschinen. Im Presswerk 3 etwa, der Halle N58, baut eine gigantische Maschine aus einem Metallstück das Seitenteil eines Audi A3, nur die Türen muss man noch einhängen.

 

 

Doch am 19. Juli 2015 war alles anders, die Kräne standen still, und schon am Tag vorher, am Samstag früh um 6 Uhr, hatte ein ganz anderes Team die Halle übernommen. Die Auto-Bauteile wurden auseinander geschoben, bis mitten in der Halle genügend Platz frei war, um eine große Bühne zu bauen für das komplette London Symphony Orchestra. Platz auch für rund 1.000 Zuhörer, den dazu gehörigen Catering-Bereich mit zwei Bars, Platz für die Toiletten-Anlagen und sogar Platz zum Flanieren in der "großen Pause".

Das Jubiläumskonzert zur Feier der 25 Jahre Audi Sommerkonzerte war übrigens im Vorverkauf nach einer Stunde ausverkauft, als hätten die Gäste schon gewusst, was genau sie erwartet.

 

25 Jahre Audi Sommerkonzerte: Das Jubiläumskonzert in der Werkhalle N58
25 Jahre Audi Sommerkonzerte: Das Jubiläumskonzert in der Werkhalle N58 (Fotos: Tom Becker / DieReferenz).

 

Die drei Teile

Drei ganz unterschiedliche Teile hatte das Konzert. Es begann mit Johann Sebastian Bachs Toccata und Fuge in d-moll, aber nicht für Orgel, sondern in der Orchesterversion von Leopold Stokowski.

 

 

Darauf hin folgte eine unglaubliche Umbaupause, denn in nicht mehr als acht Minuten räumten 30 Hands und drei Techniker, die das Ganze koordinierten, die Instrumente, Stühle, Notenpulte, Mikrofone - einfach alles! - von der Bühne. Nicht nur das, innerhalb jener acht Minuten brachten sie auch vier Konzertflügel und ein stattliches Schlagwerk auf die Bühne. Und weil das noch nicht genug war, standen, als die Sichtblenden weggenommen wurden, auch noch zwei Ducatis links und rechts am vorderen Bühnenrand.

 

Konzert mit Ducatis: Das "Ballet mécanique"
Konzert mit Ducatis: Das "Ballet mécanique".

 

Jetzt wurde George Antheils "Ballet mécanique" gegeben, ein ohnehin ungewöhnliches Werk, bei dem die ansonsten eingesetzten Flugzeugpropeller durch die beiden Ducatis ersetzt wurden. Kent Nagano dirigierte also auch die beiden "Ducati-Piloten", wobei ein dritter zum Schluss des Stücks wirklich durch die Halle und bis zur Bühne fuhr. Ja, seit 2012 gehört Ducati zu Audi!

 

Weitere Infos zu diesem besonderen Werk hier:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ballet_M%C3%A9canique

 

Nun gab es eine ausgedehntere Pause von etwa einer halben Stunde, zu der Getränke und kleine Snacks gereicht wurden. Danach waren die Flügel und die Ducatis wieder verschwunden, und das Orchester konnte wie am Anfang Platz nehmen zum letzten Teil, Igor Strawinskys "Le Sacre du Printemps".

 

Werkshalle statt Konzertsaal

Dennoch ist eine Werkshalle kein Konzertsaal, aber gerade darin bestand in Ingolstadt die Herausforderung. Denn wenn man Kent Nagano und das London Symphony Orchestra zu Gast hat, dann muss nicht nur der Saalton perfekt sein, auch die Musiker müssen sich selbst und einander so hören, wie sie es aus dem Konzertsaal gewöhnt sind.

 

"Der Sound auf der Bühne und in der Halle ist hier das Problem", sagt Sebastian Fischer von Audi Kommunikation Kultur. "Unser Ziel war die bestmögliche Lösung für Orchester und Publikum. Da haben wir uns für die virtuelle Konzertmuschel entschieden."

 

Hier kamen Ivo König und Til Schwartz von dem Berliner Unternehmen IT AUDIO ins Spiel. Die beiden haben schon einmal in der Waldbühne Berlin mit dem Constellation-System von Meyer Sound eine Konzertmuschel simuliert, in Ingolstadt musste man darüber hinaus über der Bühne eine Lösung finden, den Direktschall zu dämpfen.

 

Dazu sagt Ivo König: "Wir haben im Vorfeld Messungen gemacht und haben festgestellt, dass gerade im Low-Mid-Bereich der Nachhall noch mal deutlich höher ist als in den Höhen. Deshalb haben uns dann entschieden, die Soundtubes von Gerriets über dem Orchester zu installieren, damit dieser Frequenzbereich ein wenig stärker absorbiert wird und nicht so einen 'Wummi-Sound' macht. Und das funktioniert auch echt gut.

Ich habe die Teile das erste Mal bei Kraftwerk in der Nationalgalerie in Berlin gehört und gesehen und fand das beeindruckend, was ich eigentlich von so einem Raum aus Erfahrung erwarte und wie es dann schlussendlich klang.

Gerade im Low-Mid-Bereich ist das jetzt wirklich gut, die Tonmeister haben keine Schwierigkeiten, und da haben wir wohl wirklich eine gute Lösung gefunden, in einer solchen Werkhalle ein klassisches Konzert zu machen."

 

Absorber von Gerriets

 

Über der Bühne wurden sechs riesige aQtube-Absorber von Gerriets installiert, jeweils zirka 170 x 140 cm groß mit einer Länge von etwa 25 Metern.

 

Der Sound für die Musiker

 

John Pellowe vor dem Konzert auf der Bühne
John Pellowe vor dem Konzert auf der Bühne.

 

Doch die Hauptarbeit des Monitorings auf der Bühne leistete ein Constellation-System von Meyer Sound. John Pellowe, Mitentwickler und erfahrener Klassik-Tonmeister (unter anderem für den Sound der "Drei Tenöre" zuständig) und Freddy Meyer saßen mit ihren Computern neben der Bühne und sorgten mit Constellation dafür, dass sich das Orchester für Kent Nagano und die Musiker genau so anhörte, wie sie es aus ihrem Konzertsaal her kennen.

 

 

Dazu wurde neben einer Vielzahl hochwertiger Mikrofone zur Abnahme von Instrumentengruppen - insgesamt 120 Kanäle - und der Elektronik der Constellation-Systeme auch eine ganze Reihe von Lautsprechern über den Musikern platziert.

So wurden im Dach vier Zeilen mit insgesamt 16 Stück Meyer Sound M1D verbaut, an den Seiten jeweils vier UPA-1P, oben an der Front weitere sieben UPA-1P und unter dem Balkon noch mal fünf UPM-1P für die Musiker, die unter dem Balkon saßen.

 

Freddy Meyer und John Pellowe vor der Konzert neben der Bühne
Freddy Meyer und John Pellowe vor der Konzert neben der Bühne.

 

Freddy Meyer, der mit John Pellowe für technische Betreuung von der Orchester-Programmierung bis zur Umsetzung während der Proben zuständig war, war mit der Zusammenarbeit sehr zufrieden: "Koordination ist immer eine wichtige Voraussetzung für die Arbeit, aber mit den professionellen Kollegen ist das eigentlich kein Problem gewesen. Alles hat von Anfang an gut funktioniert."

Vor dem Konzert wirkte er jedenfalls völlig entspannt und meinte: "Wir haben hier eine tolle Position, um ins Publikum zu schauen. Wir haben alles vorbereitet, das ist alles per Preset abrufbar, so dass also, wenn jetzt nicht das Dach einstürzt, alles funktionieren wird."

 

Der Sound für das Publkum

 

 

Für den Ton im Saal sorgte indes das neue LEOPARD-System von Meyer Sound, denn auch hier verhielt sich die Werkshalle nicht wie ein Konzertsaal.

"Wir mussten die Musiker unterstützen", erklärt Ivo König, "bei den Entfernungen von 40 bis 50 Metern in diesem riesigen Raum".

Zu den zwei Leopard-Line-Arrays links und rechts der Bühnen kamen drei weitere Delay Lines, "um den Raum relativ diskret zu beschallen, weil der Nachhall in der Halle nicht unterschätzt werden sollte", so König.

 

 

Das Beschallungssystem bestand weiterhin aus sechs Meyer Sound Callisto 616 Prozessoren. Unter der Bühne versteckt arbeiteten weitere drei Paare der LFC 900 Tieftöner, die kardioid aufgestellt wurden.

Unter der Bühne gab es zudem noch mal ein Nahfeld mit sechs UPMs, damit die Ortung stimmt und die ersten Reihen den Sound nicht von oben hören, sondern von vorn von der Bühne.

 

Letztlich spielte aber auch das Constellation-System für den Klang im Raum eine Rolle, so König: "Das Ganze dient zwar in erster Linie den Musikern, doch das Publikum hört den Unterschied schon auch, die Raumantwort von der Bühne. Das gibt dem Ganzen einen Klangkörper, ist also von daher auch für das Publikum wichtig."

 

 

Am Mischpult für den Saal, einer Soundcraft Vi 6, stand ein weiterer Klassik-Spezialist, Florian Denzler, der zusammen mit Sebastian Schubert und Philip Treiber schon viele Konzerte gemischt hat, die übertragen wurden.

Bei Open Airs oder akustisch schwierigen Räumen kommt es schon mal vor, dass auch Klassik verstärkt werden muss, meinte Denzler, doch mit Meyer Sounds neuem Leopard-System hatte er noch nicht gearbeitet.

 

"Leider hatten wir ja nur heute Zeit zu proben", so sein erster Eindruck, "aber wir waren schon sehr überrascht, vor allen Dingen wie tief das System klingt, also, wie viel Raum da drin ist, das ist toll, das macht Spaß."

 

Auch die Größe des Systems schien ihm unbedingt angemessen: "Gerade, wenn man klassische Musik verstärken muss, setzt man schon auf größere Systeme, nicht wegen der Lautstärke, sondern einfach, um das großflächig auf jeden Platz gut übertragen zu können.

 

Unser Ziel ist es ja immer, das Ganze originalgetreu und unauffällig abzubilden, das ist bei dieser Akustik nicht ganz einfach. Aber wir setzen da ja seit Jahren auf ein gutes Prinzip."

 

Spezielle Mikrofone erfassen die Bühne

Gemeint ist der Einsatz von Sennheiser MKH-800 Twin-Mikrofonen, deren Aufbau es ermöglicht, die Richtcharakteristik mit den Fadern des Mischpults zu regeln.

 

"Die sind einfach super", so Denzler, "weil man dadurch noch mal Breite gewinnen kann. Man möchte ja möglichst nah an der Kugel sein, und mit diesem System kann man sich da herantasten. Da ist man nah an der Grenze zum Feedback, aber mit diesem System kann man es gut steuern.

Wir haben zum einen die A/B-Beschallung und dann die zwei Twins, die jeweils zwei Kanäle haben, also insgesamt vier Mischpult-Kanäle. Damit haben wir schon mal eine gute Abbildung des Orchesters, auch die Tiefenstaffelung und so weiter.

Dann haben wir noch mal additiv zwei Groß-ABs. Die sind auf halber Strecke vom Dirigenten zum Orchester-Ende. Und das bildet schon mal die Grundlage des ganzen Sounds ab. Und dann gibt es eben noch Stützen, die je nach Bedarf gefahren werden.

Die ganzen Mikrofone der Gruppen dienen in erster Linie für das Constellation-System, für die Gesamtbeschallung werden sie nur additiv genützt, Hauptmikrofone sind die genannten sechs Kanäle.

Die Mikrofone der Gruppen werden dennoch genützt für die Feinheiten. Insgesamt sind es 120 Kanäle, deswegen haben wir auch zwei Mischpulte."

 

 

Philip Treiber an einer Soundcraft Vi 4 mischte die Streicher vor, aber auch Flügel, Harfe und das Celestra, eine Mischung aus Glockenspiel und Klavier. Ansonsten gab es mikrofontechnisch einen Mix aus sehr vielen Schoeps-Systemen, möglichst breite Nieren, dazu viele Mikros aus der Senheiser-8000er-Serie. Und an den Bässen und Celli, Trompeten und Posaunen wurden TLM 170 von Neumann eingesetzt.

Aber auch die Motorräder bekamen ihre Mikrofone, wie Denzler erklärt: "Die Ducatis haben wir auch mikrofoniert, das war eigentlich ganz spannend. Auf der linken Seite haben wir eine Ducati, die hohe Frequenzen liefert, auf der rechten sind es niedrige. Da haben wir links ein DPA 4099 und auf der rechten Seite TLM 170. Die fahrende Ducati haben wir mit einer Funkstrecke ausgestattet, damit auch sie in der Lautstärke zu der ganzen Aufführung passt."

Angesteuert wurde das Tonsystem von einem D-Mitri-System von Meyer Sound. In das System rein gingen 32 Summen, die im FOH-Pult generiert wurden, darunter die Gruppen aus dem Orchester.

 

Die beteiligten Firmen

Audi als Veranstalter hatte für das Jubiläumskonzert NIYU media projects beauftragt, die sich wiederum wegen der tontechnischen Fachplanung an IT Audio gewandt hatten. Dann wurde die Ausschreibung formuliert, die CT Germany für sich entscheiden konnte.

 

Das Sound-Team beim Audi Jubiläumskonzert
Das Sound-Team beim Audi Jubiläumskonzert.

 

Eine weitere Aufgabe für IT Audio bestand darin, schon beim Aufbaubeginn mit dabei zu sein, den Aufbau zu überwachen, das Einrichten der Systeme, die Mikrofonierung, Positionierung und klangliche Kontrolle.

 

Die Optik für das Publikum

Ein weiterer wichtiger Teil des Jubiläumskonzerts war auch das Zusammenspiel des London Symphony Orchestras mit der beeindruckenden Projektion von Creative Technology, die auf 3 x 10 m Fläche mit unterschiedlichen Inhalten zu allen drei Stücken von CTs Pandoras Box Medien-Servern und insgesamt sechs Projektoren von Panasonics bespielt wurden.

Optischer Höhepunkt war dabei sicherlich bei Strawinskys "Le Sacre du Printemps"die Einbeziehung der Live-Aufnahmen einer Infrarot-Kamera von Kent Naganos Dirigat, dessen Bewegungen natürlich völlig synchron zur Musik waren.

 

 

Abgesehen davon hatte Audi den Platz über der Bühne auch für eine Aktion genützt: Ein Team von Malern aus dem Werk setzte die Musik auf einer großen Leinand grafisch um. Eine Ergänzung, keine Ablenkung, das zeigte schon der tosende Applaus für die Künstler.

Am Ende des ungewöhnlichen Konzerts gab es den gebührenden tosenden Applaus, mein Sitznachbar war vom Klang völlig begeistert, konnte sich das nicht erklären und war völlig fassungslos, als ich ihn auf die Lautsprechersysteme hinwies, die er einfach nicht gesehen hatte, weil er sie einfach nicht erwartet hatte in einem klassischen Konzert.

 

 

Schließlich wurden die gut 1.000 Gäste wieder mit Bussen durch das Werksgelände zu den an den Werkstoren liegenden Parkhäusern gebracht, in denen normalerweise die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Autos abstellen.

 

Lesen Sie auch: 

28.07.2015